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Wo ist da der Haken?

(Kommentare: 1)

Lang ist's her und lang sollt's dauern

Immer mal wieder war in meinem Blog zu lesen, dass das Simplon neue Laufräder bekam. Zuerst war die Umrüstung auf Scheibenbremsen die Triebfeder, Später der Wunsch nach einem stabileren Laufradsatz (LRS) als Reaktion auf ein gestiegenes Systemgewicht. Aber jedes Mal war es das Simplon, um das es ging. Klar, es war schließlich mein einziges Rad. Inzwischen hat die "Familie" jedoch bekanntermaßen mächtig Zuwachs bekommen. Vor nun etwas mehr als drei Jahren war es die Lady, die sich inzwischen zu einem echten Kilometer-Sammler gemausert hat. Und seit ich physisch in der Lage bin, auch mal längere Strecken zu fahren, wünsche ich mir, neben meinem Astralleib auch meinen Untersatz zu optimieren. Nun habe ich ja insgesamt kein auf Aerodynamik optimiertes Rennrad. Hauptaugenmerk lag bei dessen Entwicklung eindeutig auf der Optimierung für lange Strecken (Endurance). Und obwohl schon recht früh die Idee aufkam, in Laufräder zu investieren, die aerodynamischer geformt waren, war es neben den hohen Anschaffungskosten und einigen weiteren Überlegungen (dazu gleich mehr) der Endurance-Gedanke, der das Vorhaben immer wieder nach hinten verschoben hat.

Gesamteindruck
Gesamteindruck

Dieses Jahr allerdings kamen gleich mehrere "Game Changer" zusammen, die meine Entscheidung vorantrieben. Zu allererst lief im Juni das JobRad-Leasing aus und hat mir die - eigentlich ja nicht wirklich schwierige - Entscheidung abgerungen, das Rad zu übernehmen. Es ist also jetzt offiziell mein Rad. Investitionen in selbiges fallen mir also nun deutlich leichter. Wobei ich hierzu schon erwähnen muss, dass wie schon die Powermeter-Pedale 2018 auch Laufräder ja nicht an das Bike gebunden sind und bei einem Wechsel auf ein neues Rennrad im Idealfall mit umziehen würden.

Hinterrad
Hinterteil

Desweiteren hat mich der unterschwellig schwelende Wunsch nach neuen Laufrädern immer mal wieder Informationen über den Effekt von z.B. Aero-Felgen, aber auch den Einfluss von schlauchlosen Reifen und den damit einhergehenden geringeren Luftdruck und Rollwiderstand sammeln lassen. Diese kamen zum Beispiel in Form interessanter Blogs anderer Rennradfahrer oder ebenso aufschlussreicher Experten-Interviews daher. Eine wichtige Erkenntnis hieraus ist sicher, dass die Aerodynamik der Laufräder einen vergleichsweise geringen Anteil am Gesamtsystem aus Fahrer, Bike und Kleidung/Teilen ausmacht. Ganz effektfrei ist eine Optimierung im Bereich der Laufräder aber eben auch nicht. Insbesondere, wenn man wie ich gleichzeitig auch noch Gewicht spart, auf schlauchlose Reifen umrüstet und nicht zuletzt auch noch an der Gesamterscheinung (des Bikes) schraubt. Effekte wie der Segeleffekt bei Scherwinden kommen dann noch on top.

Letzte Entscheidungshilfe: ZIPP 303s

Die letzte Entscheidungshilfe wurde in Form einer Produkteinführung in diesem Jahr beigesteuert. Ich hatte bislang zwei Hauptprobleme damit, in einen neuen Laufradsatz (LRS) zu investieren. Zum einen - wie so oft - der Preis für die Teile, die man wirklich haben möchte bzw. der Start der Preisspanne dessen, was die Aufrüstung sinnvoll erscheinen lässt. Und die Preisspanne wird maßgeblich durch die Anforderungen an Hersteller, Material und Technik bestimmt. In meinem Fall bedeutete dies des Gewichtes wegen ein LRS aus Carbon (@Material) und alleine deswegen nur von einem erfahrenen Hersteller empfehlensert (@Hersteller), der Aerodynamik wegen ein LRS mit einer gewissen Mindesttiefe (meine Vorstellung beginnt irgendwo rund um 40mm) und einer optimalen Form (@Technik), ein tubeless-ready LRS und ein LRS, der für Scheibenbremsen und Steckachsen aufgebaut wurde (wieder @Technik). Das zweite der erwähnten Hauptprobleme war das maximal tragbare Systemgewicht für den LRS, dem ich nicht selten mindestens grenzwertig nahe komme. Wie erwähnt war genau das schon beim Simplon seinerzeit der Grund, von einem Leichtbau-LRS auf einen etwas robusteren zu wechseln. Und ich möchte nicht zum Kaufzeitpunkt bereits kaum noch Luft nach oben haben, resultierend aus den jahrzehntelangen Erfahrungen mit meiner eigenen Gewichtsentwicklung. Gleich beide dieser Probleme, der hohe Preis und das zulässige Systemgewicht, brachte mein bisheriger Favorit, der Campagnolo Bora WTO 45, mit.

Vorderrad
An der Front

Zu Beginn dieses Jahres dann hat ein weiterer Big Player und seines Zeichens Produzent von High-End-Laufrädern im Aero-Segment, ZIPP, einen Laufradsatz auf den Markt gebracht, der exakt meinen Vorstellungen in oben beschriebenem Sinne entsprach. Er hat 45mm tiefe Carbonfelgen, ist für Schlauchlos-Reifen, ja sogar auf diese beschränkt, ZIPP hat seine gesamte Aero-Erfahrung einfließen lassen und hat auf Discbrakes und Steckachsen ausgelegte Naben sowie Messerspeichen verbaut. Letztere total klassisch: 24 Speichen pro Rad, zweifach gekreuzt, gebogene Speichenköpfe etc. Also solide genug, auch meinen Körper zu tragen, ohne gleich bei der nächsten Bremsung, Kurve oder Bodenwelle auseinanderzufallen. Und das erste Mal in der Firmengeschichte von ZIPP wird dieser LRS in Taiwan produziert, anstatt wie üblich direkt in Indianapolis. Das ermöglicht nun endlich einen Preis, der nur knapp über der Hälfte vergleichbarer LRS wie dem oben erwähnten oder dem technisch vergleichbaren 303 Firecrest aus gleichem Hause liegt.

Für mich also der letzte noch nötige Schubser zur Bestellung eines Aero-Laufradsatzes. Dazu durchringen konnte ich mich Anfang Juni, nachdem ich mir unzählige sehr überzeugende Erfahrungsberichte und technische Details über die 303s ergooglet und eryoutubet habe. Doch was ich nun ganz deutlich zu spüren bekam: wir haben "Corona". ZIPP hatte nicht nur selbst massive Probleme, Lieferzeiten auch nur in die Nähe von Prä-Corona-Lieferzeiten zu rücken. Die Abhängigkeit von Asien und der sicherlich nicht mit höchster Priorität belieferte Zielort Deutschland haben die Situation fast unerträglich verschärft. Unter dem Strich bekam ich nach geschlagenen drei Monaten den Traum-LRS geliefert. Nur, um bei der Erstmontage feststellen zu müssen, dass ich das Vorderrad noch gar nicht montieren kann. Denn statt der benötigten Naben-Endkappen für meine 15mm-Steckachse wurden jene für 12mm-Achsen geliefert. Die erste Ausfahrt passierte also notgedrungen mit dem neuen Hinterrad kombiniert mit dem alten Vorderrad.

Welcher Reifen nun?

Reifen+Felge
303s + P Zero

Ein Gutes hatte die laaange Wartezeit auf die Laufräder aber auch. Ich stand ja nun vor der Entscheidung, auf welchen Schlauchlos-Reifen ich wechseln würde. Und bislang bin ich ja - äußerst gerne - die Pirelli P Zero Velo gefahren. Reine Schlauchreifen, die ja für die 303s ausgeschlossen sind. Und es war lediglich eine Frage der Zeit, bis Pirelli diesen beliebten Superreifen auch in einer Schlauchlos-Variante bringen würde. Aber bis Juni war davon eben noch nicht die Rede. Eine gute Alternative wäre wohl der hervorragende Allrounder Continental GP5000. Einziges Problem: Auf dem Reifen selbst steht dick und fett, dass er nicht für Felgen geeignet ist, denen das Felgenhorn fehlt. Jene nach innen gerichtete hakenförmige Verdickung der Felgenflanke also, in die sich die Reifenwulst einhakt, um auch mit ordentlich Reifendruck diesen sicher auf der Felge zu halten. Nun hat der 303s allerdings keine Hooks, wie man das Felgenhorn neudeutsch nennt, ist also eine sog. "hookless" Felge. Es gibt Stimmen, die sagen, dass der für die Felge sehr niedrige Maximaldruck von 5 bar für die 303s dafür sorgt, dass das trotzdem auch mit dem GP5000 funktionieren könnte. Und genau das war ich bereit zu versuchen, wäre der LRS schon früher gekommen. Während ich jedoch mit den Fingern auf der Tischplatte trippelnd und ungeduldig mit den Cleats scharrend auf die 303s wartete, hat es Pirelli tatsächlich vollbracht: der nagelneue Schlauchlos-Reifen Pirelli P Zero Race TLR, zumindest auf dem Papier der für mich perfekte Reifen, ist endlich erhältlich und ist tubeless- und hookless-ready. Und natürlich habe ich direkt zwei davon in der gewohnten Breite von 28mm bestellt, die Breite übrigens, für die die 303s aerodynamisch optimiert wurden.

Interessant ist übrigens, dass die neuen Pirelli auf den neuen Felgen praktisch dieselbe tatsächlich gemessene Breite (gerade mal 0,5mm mehr) aufweisen, obwohl die Felgen eine um 4mm weitere Innenbreite aufweisen, den Reifen also deutlich mehr in die Breite ziehen müssten. So jedenfalls schließt der Reifen nahezu perfekt, also ohne Übergang mit der Felge ab und sorgt so für eine ideale Umströmung des Systems aus Reifen und Felge. Wesentlich hierfür ist eben das Hookless-Design, einem Konstruktionsprinzip, das ja beim Auto gefühlt schon immer eingesetzt wird. Die Eigenstabilität der Reifenkarkasse fühlt sich vermutlich genau deswegen schon ordentlich steif an. Nicht zuletzt aus dem Grund kann der Reifen mit für Rennräder ungewöhnlich wenig Luftdruck von in meinem Fall knapp über 4 bar (knapp über 60 psi) gefahren werden, ohne sich labbrig oder unsicher anzufühlen. Im Gegenteil!

Erster Fahreindruck (5. Sept. 2020):

Natürlich habe ich es mir nicht nehmen lassen, den neuen Laufradsatz zu testen. Denn, etwas früher, als ich zu hoffen wagte, kam die Lieferung der Naben-Endkappen für die 15mm-Steckachse (aus der Schweiz) genau heute und zum Glück noch vor Tour-Antritt und ich konnte mit einer gehörigen Portion Vorfreude nun auch das Vorderrad montieren. Rein optisch hat das Bike schon mal gewonnen. Soviel lässt sich sogar schon in der dunklen Werkstatt sagen. Doch wie wird sich das System fahren? Werde ich einen Unterschied feststellen? Wird er positiv ausfallen?
Mit Ventil
Staubkappe passt auch noch ;)
Der fortgeschrittenen Tageszeit wegen habe ich mich für die relativ kurze und wenig anstiegreiche "Normal"variante meiner Hausrunde entschieden. Etwas über 40km, etwas Wind und genügend Referenzwerte auf den Strava-Segmenten sollten eine hinreichend gute Testgrundlage bilden. Schon auf den ersten paar Metern war ich positiv überrascht, wie wenig den ja nun doch signifikant tieferen Felgen Seitenwind ausmacht. Ich hatte nie den Eindruck, das Bike ließe sich weniger gut und sicher handlen. Und über die gesamte Strecke hinweg fühlten sich auch die Reifen super an, was zum einen sicher dem geringen Rollwiderstand zu verdanken war. Aber auch in den Kurven schenkte mir der Reifen derart viel Vertrauen, dass ich bewusst darauf achten musste, in Schräglage nicht zu treten, da ich mit den Pedalen anderenfalls aufgesetzt hätte. Den nicht besonders lustigen Beweis habe ich mir gleich mehrmals erbracht. Und egal, ob es gerade bergauf ging oder ich in der Ebene dahin gerollt bin, egal ob Gegen-, Rücken- oder Seitenwind, das Rad fühlte sich einfach schnell an - und war es auch, wie die Aufzeichnung hinterher offenbarte.
Natürlich ist das kein hoch wissenschaftlicher Test. Ich kann nicht ausschließen, dass meine Tagesform, die Vorfreude oder einfach nur die günstigeren Windverhältnisse mehr Anteil an den Zahlen und dem Gefühl hatten. Für mehr Aufschluss müsste ich es hinbekommen, auf einem zuvor gefahrenen Teilstück mit exakt gleicher Leistung (Watt) bei möglichst gleichen Umweltbedingungen und gleichem Körpergewicht, nun aber mit den neuen Laufrädern, die Zeit zu stoppen. Ich möchte nicht ausschließen, dass das noch passiert. Aber eigentlich möchte ich lieber nur fahren - und das Gefühl genießen, in echt tolle neue Laufräder investiert zu haben.

Fazit:

Zufriedener könnte ich zurzeit nicht sein. Sicher, bislang fehlen mir einschlägige und aussagekräftige Erfahrungen mit dem mit vielen Vorschusslorbeeren gekrönten ZIPP 303s. Und ganz sicher werde ich diese Erfahrungen mit der Zeit in gewohnter Form hier ergänzen. Aber auch jetzt schon kann ich nichts finden, was meine Begeisterung über die neueste Modifikation dämpfen würde. Die Laufräder sehen verflucht gut aus, sind traumhaft leicht, obwohl sie beeindruckend breit und tief sind, erlauben mir den lang ersehnten Umstieg auf schlauchlose Reifen sowie die ebenso lang ersehnten aerodynamischen Verbesserungen und waren nicht einmal unvernünftig teuer. Meine Frau wird mich also vorerst nicht verlassen und hat gleichzeitig einen glücklichen und sportlich weiterhin aktiven Mann daheim.

Hier zum Abschluss das Rad im Vorher-Nachher-Vergleich:

Vergleich
Beinahe zufällig an der selben Stelle

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