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Anpassungsfähig

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Vorbereitungen

Das Jahr schickte sich an, mindestens sportlich das beste seit seeeehr langer Zeit zu werden. Ja, ich hatte noch lange nicht mein neues Rad zusammen. Aber das alte war ja noch fahrbereit. Und zumindest auf der Rolle wollte ich unbedingt an meinem Ziel arbeiten: Fitnessaufbau für Rad am Ring 2022. Endlich soll es nach zweijähriger Coronapause ja wieder stattfinden. Da muss ich meinem Körper ja vorher wenigstens kurz verraten, dass er sich dreimal den Anstieg zur Hohen Acht hochquälen soll. Mit entsprechend erarbeiteten Trainingsplänen und der konsequenten Abarbeitung der Selbigem hat das prima funktioniert. Sogar einige Touren an der frischen Luft waren mit einsetzendem Frühling drin. Allerdings nur bis Anfang April. Da hat mich mal eben Covid-19 kurzerhand aus dem Training geboxt. Und kaum war ich wieder halbwegs bereit, mich ins Radfahrerleben zurück zu trainieren - ich bin bereits zwei kurze Einheiten gefahren -, musste ich unbedingt den empirischen Beweis erbringen, dass auch die massive Materie von linksabbiegenden Autos nicht widerstandfrei durchdringbar ist. Die dabei eingehandelte Schnittwunde (immerhin schon die gravierendste der Folgen) war wenige Wochen später gerade verheilt, musste mich unbedingt ein altes körperliches Problem wieder einholen. Am Ende eines kurzen Sprints, zu dem mich eine Freundin meines Hundes zwang, habe ich einen situativ erzwungenen Richtungswechsel begonnen. Offensichtlich ist mein Knie nicht mehr das Stabilste, weswegen es sich fröhlich verdrehte. Ganz so wie schon 2015 beim Badminton, weshalb ich diesen Sport voraussichtlich für immer aufgeben musste. Nun also bin ich mal wieder invalide unterwegs.

Problematisch hieran ist neben den Schmerzen, die ich auch mehr als eine Woche später noch bei jedem Schritt im Knie spüre, dass ich nur Tage vorher einen der raren Termine bei Jürgen, "meinem" Bikefitter von MyPosition, ergattert habe. Der sollte schon eineinhalb Wochen nach dem Verdrehen des Knies sein. Nun, um eine lange Story kurz zu halten: ich habe den Termin wahrgenommen und bis dahin so gut wie möglich eine gesunde Mischung aus Schonung/Heilung und Belastungs-/Beweglichkeitstraining angestrebt. Dennoch war einer der ersten Sätze, mit denen ich Jürgen konfrontiert habe, dass das Fitting spannend werden könnte. Natürlich flankiert von der Erläuterung wieso. Glücklicherweise hat er bestätigt, dass er daraus eventuell resultierende Ungleichbelastungen beispielsweise des Sattels rauszufiltern imstande ist. Ich habe also die Zähne zusammengebissen und war knapp eine Stunde lang ziemlich froh, dass die Belastung für das Fitting nicht annähernd so groß sein musste, wie eine klassische Trainingsbelastung. Schon die Bewegungsfreiheit meines Knies hat mich hinreichend dicht an mein Limit geführt.

Auf dem Präsentierteller

Vermessung

Schon beim bereits einigermaßen oft erwähnten Pre-Bikefitting hat mich Jürgens Profi-Equipment beeindruckt. Kaum eine Kenngröße, die damit im Ungewissen bleibt. Allerdings nur in den Händen eines Profis. Und Jürgen ist genau so einer, der sein Wissen um Anatomie und (Bike-)Ergonomie schlafwandlerisch zielführend und mit der nötigen Gründlichkeit in das Fitting einfließen lässt und mir zudem noch praktische Trainingstipps geben konnte und mir zu einem für mich genau passenden Sattel raten konnte. Gemessen daran und an der resultierenden Vermeidung belastender und spaßverdrängender Schmerzen sowie einer neuen empfundenen Leichtigkeit des Radelns ist der finanzielle Aufwand gering. Auch die zweimalige etwas längere Anfahrt nach Neuenmarkt ist dadurch locker gerechtfertigt. Und das schon vor dem ersten mit dem Rad zurückgelegten Meter.

Gut, aber wie sieht so ein Bike Fitting eigentlich aus? Ich konnte mir nicht sehr viel darunter vorstellen und unterstelle deswegen einfach mal frech dem einen oder anderen von euch ebenfalls ein gewisses Interesse. Also berichte ich mal - hoffentlich nicht wieder einschläfernd detailliert.

Phase 1

Phase 1 war, wie erwähnt, ein Bike Fitting ohne Bike. Ausgestattet mit nicht mehr als meiner Bikekleidung, den Bikeschuhen und meinen Pedalen bin ich zum Jürgen gefahren, der sich dann direkt ins Datensammeln gestürzt hat. Zunächst wurde ich mit einer Gründlichkeit vermessen, als müsste man mich anschließend als tragendes Element in die Pyramiden von Gizeh einbauen. Allerdings mit deutlich modernerem und genauerem Equipment als es den Ägyptern zur Verfügung gestanden haben dürfte. Eine druckluftgetriebene und zum Glück feinfühlig steuerbare Maschine hat milimetergenau meine Schrittlänge vermessen, eine dagegen schon klassisch anmutende Apparatur meine Körpergröße. Technischer wurde es, als es um meine Sitzknochen ging. Ein elektronischer Drucksensor (oder eher eine Vielzahl solcher, eingearbeitet in eine entsprechende Decke) hat nicht nur den Abstand der Sitzhöcker sondern gleich auch die Druckverteilung gemessen und am Rechner sichtbar gemacht. Auch Asymmetrien in Beinlänge und Beweglichkeit wurden ermittelt. Genauso, wie meine Gesamtbeweglichkeit und Belastbarkeit und etliches mehr. Schließlich resultieren all diese Parameter in der einen guten Sitzposition, dem einen Setup, das möglichst viele Leiden reduziert, die nicht aus der Anstrengung der sportlichen Aktivität heraus entstehen.

Klassischerweise wird ein solches Pre-Bikefitting für Radfahrer veranstaltet, die sich erst noch für das ideale Bike entscheiden wollen. Zu diesem Zweck hält der Bikefitter eine Art Ergometer vor, das den neuen Wahoo Kickr Bikes nicht unähnlich ist, dabei aber in buchstäblich jeder Größe konfigurierbar ist, einschließlich der Kurbellänge. Gut, nun habe ich ja aber bekanntermaßen mein Rad. Es war zu dem Zeitpunkt schlicht noch nicht fertig. Das bedeutet, dass die meisten Parameter wie Stack/Reach, Radstand, und viele mehr bereits vorgegeben sind, einige andere wie Sattelhöhe, Lenkerhöhe, Vorbaulänge u.ä. aber eben noch nicht. Und mit genau diesen Werten hat Jürgen nun rumgespielt, nachdem er die durch den Rahmen bereits vorgegebenen Maße auf das Einstellbike übertragen hat. Dadurch hat er bereits eine gute Vorstellung davon bekommen, wie das neue Rad einzustellen war.

Aber noch viel wichtiger waren Erkenntnisse, die idealerweise vor Fertigstellung des Bikes rausgefunden werden. So bin ich - einfach, weil es schon immer so war - davon ausgegangen, ich bräuchte eine Kurbellänge von 175mm. Die kurzerhand mal eingestellte Kurbellänge von 170mm hat sich dann aber nicht nur besser angefühlt. Sie hat Jürgen zufolge auch deutlich weniger Kippbewegung in der Hüfte verursacht. Zwar war die 175er Kurbel bereits bestellt und geliefert, ließ sich aber zumindest ohne Mehrkosten in eine 170er Kurbel gleichen Modells umtauschen. Eine mindestens ebenso wichtige Erkenntnis war, dass meine Sitzschmerzen von einem zu schmalen und nicht geeignet geformten Sattel herrührten. Ein Umzug meines SQlab-Sattels, wie ich ihn ursprünglich geplant habe, kam also nun nicht mehr infrage. Dass zukünftig ein signifikant breiterer Sattel von Selle Italia zum Einsatz kommt, übrigens zum ersten Mal einer mit Aussparung in für die Fortpflanzung nicht unwichtigen Körperregionen, ist ein direktes Resultat aus Druckmessungen in den typischen Fahrpositionen und unter Belastung. Als dritte Erkenntnis aus Phase 1 folgte unmittelbar, dass der 100mm-Vorbau, der Teil des Rahmensets war, zu kurz für mich wäre. Ein ersatzweise georderter 120mm-Vorbau sollte später für die angestrebte Geometrie sorgen.

Phase 2

Nach Wochen weiteren Wartens auf Teile und einer erfrischend kurzen daran anschließenden Bauphase war das Bike nun bereit, dem Bikefitter vorgestellt zu werden. Wie oben erwähnt deutlich bereiter als ich es war. Wieder bewaffnet mit Bikekleidung und -schuhen, diesmal aber zusätzlich mit der RoadMachine bin ich also erneut nach Neuenmarkt gefahren. Dieses Mal ist aber eben mein eigenes Bike auf dem Drehteller vor der Kamera gelandet. Nach der Übertragung der Phase1-Werte auf das Bike hat sich Jürgen höchst selbst auf das Bike gesetzt, um nach (sehr viel) Gefühl die Bremshebel zu positionieren. Noch kurz Symmetrie zwischen den beiden Hebeln hergestellt und dann war ich an der Reihe. So gut es ging vor mich hin kurbelnd (ja, mein Knie hat permanent sein Mitspracherecht eingefordert) hat Jürgen mich, respektive die entsprechend markierten Gelenkpunkte, von vorn und von der Seite gefilmt und die Bewegungen am Rechner detailliert analysiert. Die zuvor konfigurierte Sattelposition und -neigung passte - dank Phase 1 - auf Anhieb. Die Sattelhöhe hat Jürgen noch dezent angepasst. Nun war wieder die Satteldruck-Decke dran. Hier war Jürgen sichtlich zufrieden. Dieser Sattel in dieser Position könne nicht besser sein.

Fazit

Nun, wenn Jürgen glücklich ist, bin ich es erst recht. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass ich längere Einheiten zukünftig nicht mehr ganz so schmerzhaft erleben werde wie bislang. Hauptsächlich, aber nicht ausschließlich im Sattelbereich. Nein, auch mein Nacken sollte, aller systemischen Schwäche zum Trotz, weit weniger leiden als in der näheren Vergangenheit. Ein Grund für diese Zuversicht ist, dass ich ja eigens deswegen ein neues, ein passenderes Bike haben wollte. Wie ich (ganz ohne Jürgen bereits) inzwischen weiß, war das ganze Bike zu lang, meine Position also zu gestreckt. Gleichzeitig war der Lenker viel zu breit für mich. Und zu allem Überfluss habe ich angenommen, die nicht den kleinsten Grad nach innen gestellten Hebel müssten einfach so gerade sein. Unweigerlich haben sich so nur leider die Schultern angehoben und so (mindestens zusätzlich) zu heftigen Verspannungen im Nacken geführt. All das sollte jetzt signifikant besser sein. So ganz nebenbei sollte nun auch die Überbelastung im unteren Rücken der Vergangenheit angehören. Schließlich passen Sitzhöhe, Oberkörperneigung und Kurbellänge jetzt perfekt zu meiner Physis und Anatomie. Dafür war jedes Bisschen Aufwand und jeder Cent investierten Vermögens bestens investiert. Der nächste 100er wird beweisen müssen, wie weit das Setup in der Lage sein wird, eigene Unvollkommenheiten zu egalisieren...

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